Es gab widersprüchliche Gedanken und Theorien, vorherrschend war die Säftelehre. Behandlungen waren dann stets „Ausleerungskuren” mit Aderlass, Purgieren, Klistieren, Brechmitteln, Ziehpflastern, Schröpfen und Ansetzen von Blutegeln. Daneben gab man den Patienten Arzneien und Arzneimischungen, nicht selten in lebensbedrohlichen hohen Dosen, ohne jegliche theoretische Grundlage.
Hahnemann war so unzufrieden mit dieser Medizin, dass er eine ganze Zeit lang den Arztberuf aufgab. In diese Zeit fiel der berühmte „Chinarindenversuch”. Bis zum Jahre 1816 forschte er an Patienten, prüfte neue Arzneimittel, brachte 1810 die erste Auflage seines Organons, des Gesetzbuches der Homöopathie, heraus. Mit Hilfe der homöopathischen Mittel behandelte er schwere Epidemien, die damals das Leben vieler Menschen bedrohten, wie Cholera, Typhus und Scharlach. Darüber veröffentlichte Hahnemann folgenden Schriften:
1801: „Über die Heilung und Verhütung des Scharlachfiebers” - Diese Scharlachvariante behandelte er mit dem homöopathischen Mittel Belladonna.
1806: „Scharlachfieber und Purpurfriesel” - Purpurfriesel ist eine Scharlachart, die er mit Rhus-toxicodendron behandelte.
1813: 1813 war die Schlacht vor Leipzig, der eine Typhus-Epidemie folgte. Von 181 Patienten Hahnemanns überlebten 180 die Seuche, die Sterberate sonst lag bei 90 % - Behandelt hat er diesen Typhus mit Bryonia und Rhus-toxicodendron.
Viele Jahre hatte er Arzneien geprüft, Patienten behandelt und beobachtet, dass und wie die Ähnlichkeitsregel wirkte. Bei vielen Patienten half es hervorragend, sie blieben nach der Gabe des ähnlichsten Mittels gesund, bei anderen traten immer wieder neue krankhafte Symptome auf. Meist waren es dieselben oder ähnlichen Erscheinungen, die sich dann ungleich hartnäckiger in der Behandlung zeigten. Er fing an sich Gedanken zu machen, warum bei manchen Menschen die homöopathischen Mittel nur eine kurzfristige Wirkung hatten, welche Heilungshindernisse hier vorlagen. An der Richtigkeit der Theorie seiner homöopathischen Heilmethode zweifelte er nicht, da diese sich in unzähligen Fällen als wirkungsvoll erwies.
Zwölf Jahre beschäftigte ihn diese Frage und seine Antwort, die er nach zähem geduldigen Forschen und Beobachten gefunden hat, lautet:
„Wenn ein Mensch nicht völlig gesund ist, wenn bei ihm immer wieder einmal hier und da krankhafte Erscheinungen auftreten, leidet er unter einer chronischen Krankheit”?
Diese Erscheinungen darf man dann nicht als immer wieder neue Erkrankungen ansehen, sondern sie sind alle „Theile eines tief liegenden Ur-Übels” . Um diesen Menschen ganz gesund zu machen, muss man die zugrunde liegende Ur-Krankheit = chronische Krankheit = Miasma (griech. Besudelung, Befleckung) behandeln, sonst kommen die akuten Ausbrüche immer wieder hervor.
Im Gegensatz zu den akuten Krankheiten lässt die Lebenskraft den chronischen Krankheiten ungehindert Zutritt zum Organismus. Sie kann sich nicht selbstständig von ihnen befreien, eine Selbstheilung ist also nicht möglich. Bei akuten Krankheiten hat die Lebenskraft, wenn sie gesund ist, ein Selbstheilungsprogramm und kann sich durch Fieber, Erbrechen, Durchfall, Schwitzen, Eiterung dieser Erkrankung entledigen.
In seinem Werk „Organon” gibt Hahnemann folgende Definition der chronischen Krankheiten im § 78: „Die wahren natürlichen chronischen Krankheiten sind die, von einem chronischen Miasma entstandenen und ohne Gebrauch gegen sie specifischer Heilmittel, immerdar zunehmen und selbst bei dem besten geistig und körperlich diätetischen Verhalten, dennoch steigern und den Menschen mit immerdar erhöhenden Leiden bis ans Ende des Lebens quälen”.
Die chronische Krankheit verläuft in Phasen oder akuten Schüben mit dazwischenliegenden Latenzzeiten, in denen sich der Patient relativ gesund fühlt. Jedoch kommen nach Jahren oder Monaten wieder Krankheitserscheinungen in mehr oder weniger abgeänderter Form auf und der Organismus wird in die Zerstörung getrieben. Gerhard Risch vergleicht dies mit einem Vulkan, Zitat: „... diese kranken Vorgänge sind wie die Eruptionen eines Vulkans, wobei das eigentliche Übel tief im Innern der Erde immer vorhanden ist. Wollte man einen Vulkan zum Schweigen bringen, müsste man die unter der Erdoberfläche brodelnde Lava löschen und zur Ruhe bringen.